Im Gespräch mit den JU-Spitzenkandidatinnen Heike Wermer und Annika Fohn

Am Rande des Wahlkampfauftaktes in Essen traf unser Redakteur Maximilian Reinberger Heike Wermer und Annika Fohn - mit ihnen sprach er über ihre politischen Ziele für die nächsten fünf Jahre und ihre Gedanken zum aktuellen Ukraine-Krieg.

BISS35: Die humanitäre Katastrophe durch den russischen Angriffskrieg ist omnipräsent und macht es schwierig nun den Blick auf die Landtagswahl zu richten. Dennoch wollen wir es heute versuchen: Worauf kommt es euch in dieser bewegten Zeit politisch am meisten an?

Heike: Der Ukrainekrieg zeigt uns ganz deutlich, was unser politischer Auftrag ist, nämlich auf der einen Seite die Demokratie und den Frieden zu verteidigen, also auch die staatliche Souveränität, und auf der anderen Seite die Auswirkungen dieses schrecklichen Krieges weitestgehend abzufedern. Der Spritpreis ist so hoch wie noch nie und trotzdem müssen die Leute zur Arbeit pendeln können. Das muss irgendwie bezahlbar sein. Da sind wir zum Glück gerade auch dabei, dem Bund auf die Finger zu klopfen und der Ampel ins Buch zu schreiben, was uns als Entlastung vorschwebt. Die anderen Themen sind aber natürlich auch die hohen Energiepreise und der knapp werdende Wohnraum. Erstmal kommt es aber jetzt darauf an, die ukrainischen Flüchtlinge passend aufzunehmen, unterzubringen und ihnen dann durchaus auch Integrationschancen zu bieten. Das ist nochmal eine große Herausforderung für die Kommunen, aber auch für alle Mitbürger. Es ist wichtig, dass wir das jetzt anpacken.

Annika: Wir haben einfach gemerkt, dass nichts selbstverständlich ist. Für mich war es nie vorstellbar, dass wir in Europa im Krieg leben werden. Ich sehe es wie Heike, dass wir zunächst das humanitäre Leid lindern müssen. Was ich auch merke ist, dass man gerade jetzt eine verlässliche Regierung braucht. Ich habe das Gefühl, dass sehr Stabiles und Solides aus Düsseldorf kommt. Aber aus Berlin? Da ist alles sehr zaghaft. Ich glaube, wir brauchen als Politik einfach den Mut, wieder Debatten zu führen. Über die Wehrpflicht, über den Atomausstieg und viele andere Themen. Das sind alles Dinge, die erfordern auch Mut. Und ich habe in den letzten Wochen immer wieder erlebt, dass wir keine Verlässlichkeit aus Berlin bekommen haben. Es gibt ständige Kehrtwendungen, die, wie ich glaube, in der Bevölkerung auch einfach zu ganz viel Unsicherheit führen. Wenn man dann vor solchen Krisen Angst hat und dazu eine Regierung kommt, die so unzuverlässig und wenig vertrauensbildend wirkt, ist das schwierig.

BISS35: Wir leben in einer Zeit der Krisen, die uns zuletzt immer wieder gezeigt haben, wie abhängig wir von einem funktionierenden Welthandel sind. Annika, in welchem Bereich siehst du als Sprecherin der juMIT NRW den größten Handlungsbedarf um unsere Wirtschaft resilienter zu machen?

Annika: Als Landesregierung haben wir Bürokratieabbau und Entfesselung auf den Weg gebracht. Da sind wir genau in die richtige Richtung vorangeschritten. In Zukunft erwartet uns jetzt thematisch vor allem die Robustheit der Energieversorgung. Wir sind hier in NRW Industrieland Nummer Eins und ich glaube, da stehen wir vor einer riesigen Herausforderung. Wir haben gesehen, dass Wirtschaft funktioniert, wenn ein Rad in das andere greift, aber wir haben leider auch feststellen müssen, wie schnell Lieferketten komplett auseinanderfallen können. Die Fragestellung ist sehr komplex, weil es ein vielschichtiges und globales Thema ist. Was ich mich dazu immer gefragt habe: Haben die Unternehmen – gerade im Mittelstand – so etwas wie systemische Schwachstellenanalysen und Krisennotfallpläne? Eher nicht. Viele sind davon übermannt worden. Da könnte man als Landesregierung in Zukunft unterstützend eingreifen und Förderprogramme auflegen, um Unternehmen in Zukunft zu erleichtern, solche Pläne zu erstellen und Vorbereitungen zu treffen. Und dabei muss evaluiert werden, wie es nun in Corona-Pandemie und Ukraine-Krise gelaufen ist. Woran hat es gehakt? Wo müssen wir dazu lernen? Was lässt uns autarker oder resilienter werden?

BISS35: Ihr kommt aus Aachen und dem Westmünsterland. Beides sind Regionen, in denen die europäische Einheit täglich zu spüren ist. Warum ist gerade für NRW die europäische Vernetzung so wichtig?

Heike: NRW liegt mitten im Herzen Europas und sowohl Annikas als auch mein Wahlkreis liegen direkt an der Grenze zu den Niederlanden. Das Schöne ist, dass diese Grenzen einfach fließend sind. Es gibt Leute, die pendeln für die Arbeit rüber oder um die Verwandten nebenan zu besuchen. Das ist wunderschön und das müssen wir auch weiter unterstützen. Die europäische Integration ist da noch nicht abgeschlossen. Bei uns im Kreis Borken haben wir zum Beispiel gerade ganz frisch das Fahrradknotenpunktsystem von den Niederlanden übernommen. Das ist einfach ein tolles System für Radfahrer und trotzdem haben wir das erst nach vielen Jahren geschafft, bei uns zu etablieren. Es macht sich einfach bemerkbar, dass dieser Prozess der europäischen Integration noch längst nicht abgeschlossen ist. Da sehe ich NRW auch als Vorreiter, weil wir da richtig gut etwas voranbringen können.

Annika: Das sehe ich ganz genauso. Brüssel und Amsterdam sind näher an Aachen als Berlin. Europa ist etwas, womit wir hier tagtäglich leben. Ich habe heute meine Mittagspause in Vaals verbracht und sehe das so wie Heike: Wir haben da ganz vieles noch vor uns. Gerade Klimapolitik ist ein Thema, wo natürlich Mobilität ein großer Faktor ist. Hier können wir einfach nicht in Grenzen denken. Da ist dann das eben angesprochene Radschnellwegesystem ein wichtiger Schritt. Wir müssen die Infrastruktur, wie Wasserstraßen und Schienennetz, weiter gemeinsam angehen. All das ist ein wirtschaftlicher Standortfaktor, den wir als NRW einfach haben und deswegen weiter fördern und leistungsfähig halten müssen.

BISS35: Heike, du bist schon seit 2017 Mitglied des Landtags. Was war dein Lieblingsprojekt dieser Legislaturperiode?

Heike: Ich war zu Beginn der Legislaturperiode Mitglied im Ausschuss für Schule und Bildung und da war es auf jeden Fall die Umstellung von G 8 auf G 9. Es war mir schon im Wahlkampf wichtig, dass wir uns ganz klar zu G 9 positionieren. Ich hätte aber nicht gedacht, dass dieser Prozess - also für diesen Gesetzentwurf - so Ewigkeiten dauern würde. Das war echt zäh und mühsam und damit für mich wirklich eine Art Lehrstück, an dem ich gleich zu Beginn der Legislatur gemerkt habe, okay, bestimmte Prozesse brauchen einfach ihre Zeit. Mein zweites Lieblingsprojekt hatte ich als integrationspolitische Sprecherin. Ende letzten Jahres haben wir das Teilhabe- und Integrationsgesetzes reformiert. Ich bin sehr stolz darauf, dass wir es gegen Ende der Legislatur noch geschafft haben, das Gesetz an die neue Lebenswirklichkeit anzupassen und wieder ein Stück nach vorne gegangen sind. NRW ist wirklich Vorreiter in Sachen Integration. Dass wir diesen Weg jetzt gegangen sind und das vor allem auch überfraktionell, auch mit SPD und Grünen, freut mich sehr.

BISS35: Die ganze Redaktion wünscht Euch beiden ganz viel Erfolg am Wahltag! Erlaubt mir abschließend dazu noch eine letzte Frage: Wie werdet ihr die spannenden Stunden vor der Bekanntgabe des Wahlergebnisses verbringen?

Annika: Ich glaub ich werde unheimlich aufgeregt sein und deswegen einfach eine Runde laufen gehen, um mich abzulenken und danach noch ganz gemütlich mit meiner Familie essen. Im Anschluss geht’s dann rüber zum Wahlabend, um zu schauen, was der Wahlkreis für ein Ergebnis für uns bereithält.

Heike: Auch wenn es jetzt das zweite Mal ist, dass ich kandidiere, bin ich natürlich auch aufgeregt. Ich habe aber das Glück, dass ich am Vorabend zu einer Hochzeit eingeladen bin. Von daher hoffe ich einfach, dass ich am Sonntag ein bisschen länger ausschlafen kann und meine Nerven dann einfach noch beruhigt sind. Den Tag werde ich mit meinem Mann und unseren Familien verbringen und werde dann wahrscheinlich ab dem späten Nachmittag nervös, weil es dann natürlich um die Wahlergebnisse geht. Ich freue mich, dass ich ab 18 Uhr im Kreishaus die Ergebnisse verfolgen werde, bevor es irgendwann zum Dankeschönabend meines Teams geht. Ich wünsche uns allen natürlich, dass wir einen erfolgreichen Abend erleben werden.

Das Interview führte Maximilian Reinberger

Kontaktperson

Arvid Hans Hüsgen

Pressesprecher

+49 211 1360048

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