Seit mehr als einem halben Jahr wütet bereits Putins brutaler und völkerrechtswidriger Angriffskrieg in der Ukraine. Die am 27. Februar verkündete „Zeitenwende“ des Bundeskanzlers verkommt schon jetzt zu einer holen Worthülse, die die Erwartungen Deutschlands Verbündeter abermals enttäuscht. So richtig das Bekenntnis zu 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr ist, umso mehr verdeutlicht der Krieg mitten in Europa, dass wir Sicherheitspolitik gesamteuropäisch neu denken müssen.

Ein der „Zeitenwende“ vergleichbares Momentum gab es bereits 2014 nach der Annexion der Krim: den „Münchener Konsens“. Durch die deutsche Parteienlandschaft hinweg wurde auf der Münchener Sicherheitskonferenz mehr Engagement Deutschlands in der Welt gefordert. Heute ist klar, dass wir nicht nur weit hinter diesem Anspruch zurückgeblieben sind, sondern vielmehr die Sicherheit in Europa aufs Spiel gesetzt haben. Warnungen osteuropäischer und baltischer Partner zum Ausbau von Nord Stream 2 haben wir nicht erhört. Die deutsche Energieabhängigkeit von Russland wird uns nicht nur den anstehenden Winter teuer zu stehen kommen lassen, sie trägt viel gravierender auch Mitschuld am Tot von Ukrainern. Während die Ukraine die Wahl zwischen Selbstverteidigung und Auslöschung hat, verstummt derweil sogar bei den Grünen der Slogan der Friedensbewegung „Frieden schaffen ohne Waffen“ – stattdessen greift die AfD um Björn Höcke diesen zur Propagierung eines „rechten Pazifismus“ auf. Die Wahrheit ist jedoch, dass nur mit massiver monetärer aber vor allem militärischer Hilfe bislang der Niedergang der Ukraine und die Vernichtung eines Volkes verhindert werden konnte. Dass dies auch in Zukunft so bleibt, ist eine historische Verantwortung für Deutschland und Europa.

Europäische Sicherheitsordnung gegen Putins Russland

Essentiell ist es jetzt, den ökonomischen und militärischen Druck gegenüber Putin aufrechtzuerhalten, auch bei einem annähernden schwierigen Winter mit steigenden Heizkosten. Denn wer im 21. Jahrhundert eine grundlegend andere Weltordnung durchsetzen möchte – so wie Putin das Erstarken des ehemals sowjetischen Reiches als Ziel verfolgt – darf unter Geltung des modernen Völkerrechts nicht Erfolg haben. Denn wenn die Ukraine fällt, macht Putin keinen Halt vor Moldau, Georgien und womöglich auch nicht vor unseren NATO- und EU-Partnern im Baltikum und in Polen, die ein Bündnisfallszenario auslösen können. Das überwiegend militärisch genutzte Kaliningrad ist gerade einmal 500 Kilometer von Berlin entfernt und eine reale Bedrohung auch für uns in Deutschland. In der Ukraine wird somit auch unsere nationale und europäische Sicherheit sowie unsere auf Freiheit und Demokratie beruhende Werteordnung verteidigt, wie es durch den neuen Kandidatenstatus der Ukraine zur EU zum Ausdruck kommt. Wer jetzt noch meint, eine europäische Sicherheitsordnung mit Russland gestalten zu können, dem seien die Kriegsverbrechen in Butscha, die Attacken auf das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja oder der Zerstörung nahrungsgrundlegender Weizenvorräte der Ukraine vor Augen zu führen. Es bedarf jetzt maximaler Ächtung und Ausgrenzung Russlands in Europa, bis es sich vollständig aus der Ukraine zurückzieht. Hierzu muss die Europäische Union drei Kernlehren ziehen.

1. EU-Sanktionen aufrechterhalten und verstärken

Konsequent hat die Europäische Union zügig mehrere Sanktionspakete sowohl gegen Einzelpersonen als auch gegen die russische Gesamtwirtschaft verhängt. Ein fundamentales Problem der Wirkkraft wirtschaftlicher Sanktionen sind oft die fehlende Geschlossenheit, Großflächigkeit und Dauer. Dafür ist es gut und richtig, dass gemeinsame Maßnahmen auf EU-Ebene beschlossen werden, damit Russland keine Schlupflöcher findet und somit Sanktionspakete untergraben könnte. Dafür muss auch Ungarn mit an einen Strang ziehen und Sanktionen weiterhin gegen Belarus als Verbündeten Russlands bestehen bleiben und nicht voreilig gelockert werden.

2. Europäischen Visa-Ban für Russen durchsetzen

Erneut sind es osteuropäische Verbündete, die ein europaweites touristisches Visa-Stopp für Russen fordern. Daran sollten wir uns anschließen, denn nur wenn die breite Gesellschaft in Russland die Ausgrenzung des eigenen Landes hautnah spürt, die Unterstützung für Putins Krieg abnimmt. Wenn auch Deutschland nach Estland, Lettland, Litauen und Tschechien national beginnt, Urlaubs-Visa auszusetzen, müssen weitere EU-Mitgliedstaaten und eine einheitliche europäische Lösung folgen.

3. Militärische Unterstützung durch Mitgliedstaaten erhöhen

Eine Reihe an sozialdemokratischen Mandatsträgern hat jüngst in einem Papier gefordert „Die Waffen müssen schweigen!“ Darin verlangen sie Friedensverhandlungen mit Putin, um einen Waffenstillstand herbeizuführen. Verklärt von der Realität halten sie China für ein „neutrales“ Land, welches für Friedensverhandlungen vermitteln könnte. Dabei vergessen sie die kurz vor dem russischen Angriffskrieg verabschiedete gemeinsame Resolution Chinas und Russlands, eine neue internationale Weltordnung etablieren zu wollen. China unterstützt Russland außerdem mit Waffen und ist an einer strategischen Abhängigkeit Russlands interessiert, um seine Vormachtstellung zu erweitern. Folglich bleibt als einziges Gegenmittel die militärische Unterstützung der Ukraine durch Deutschland und die westliche Welt, damit das Leiden ein Ende bekommt – andernfalls ist Russland nicht zu stoppen. Hier hat auch Deutschland weiteres Potential, schwere Panzer wie den Leopard I oder II zu liefern, um zu einem realen game changer auf dem Kampffeld zu werden. Denn ab Herbst wird der Krieg durch instabiles Gelände in eine neue Phase eines Abnutzungskrieges gezogen, der im kommenden Jahr weiter ausgetragen wird, wenn die Böden wieder nutzbar werden.

Gemeinsam als Teil junger europäische Volksparteien haben wir die Aufgabe, als einzige Parteijugendorganisation klare Kante gegen Putin zu zeigen und eine europäische Sicherheitsordnung gegen ihn aufzubauen. Während die Jusos nichts Besseres zu tun haben als die Umbenennung von Panzern in weniger tierische Namen zu fordern, ist der andere Parteinachwuchs uneinig über ihre Position im Umgang mit dem Ukraine Krieg. Bei einem potentiell anstehenden „heißen Herbst“ mit Protesten von Rechts- und Linksaußen liegt es an uns, für die Ukraine im europäischen Verständnis von Freiheit einzustehen.

Von Vanessa Vohs, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin an der Universtität der Bundeswehr München

Kontaktperson

Arvid Hans Hüsgen

Pressesprecher

+49 211 1360048

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