“Jeder Wahlkampf ist ein Wettlauf um die Deutungshoheit”

Die Landtagswahl rückt näher, die Partei ist mitten im Wahlkampf. Ein guter Zeitpunkt, um sich bei einem echten Wahlkampf-Experten Rat zu holen. Die BISS35 sprach mit Julius van de Laar, ehemaliger Obama-Wahlkämpfer und heute Politik- und Kommunikationsberater, über seine Zeit in den USA und die Geheimnisse eines guten Wahlkampfs.

BISS35: Lieber Julius van de Laar, das Thema Wahlkampf begleitet Dich als Berater heutzutage beruflich. Begonnen hat Deine Leidenschaft hierfür aber nicht in Deutschland, sondern als Wahlkämpfer der Obama-Kampagne in den USA. Wie kam es dazu?

Julius van de Laar: Als leidenschaftlicher Basketballspieler bin ich dank eines Basketball-Stipendiums in die USA gekommen. Es war eine wunderbare Zeit, ich habe das beste Leben gelebt. Aber die generelle Richtung, in die das Land damals zwischen 2001 und 2007 navigierte, fand ich ernüchternd. Es war die Zeit von George W. Bush, dem ultrakonservativen Hardliner nach dem 11. September, den Kriegen in Afghanistan und dem Irak sowie dem maroden Gesundheitssystem.
2004 hat John Kerry trotzdem krachend gegen George W. Bush verloren, damals konnte ich mir das nicht erklären. Und dann betrat dieser junge und schillernde Senator Obama die politische Bühne. Nachdem ich mich mit ihm beschäftigt hatte, war mir klar: Wenn der einmal kandidiert, will ich für ihn arbeiten. Als er dann tatsächlich kandidierte, kam eins zum anderen.

BISS35: Wie hast Du Deine Zeit in der Obama-Kampagne empfunden?

Julius van de Laar: Unsere Kampagne war wie ein Start-Up. Den Namen Obama hatten anfangs 2,8 % der Amerikaner gehört - Hillary Clinton hatte dagegen Bekanntheitswerte um die 99 %. Die Situation war von einem unheimlichen Aufbruchscharakter geprägt und als Underdogs wähnten wir uns im Land der unbegrenzten Kampagnenmöglichkeiten.
Schlussendlich war es auch diese Zeit in der Obama-Kampagne, die mir das entsprechende Wahlkampf Know-how beibrachte. Ich hatte zunächst echt Bammel davor, mit Aufkleber und Kugelschreiber an die Haustüren zu klopfen und für Obama zu werben. Aber wenn Du das dann tausend Mal gemacht hast, wird es second nature. Heute hätte ich kein Problem damit, in den Supermarkt zu laufen und – egal was – zu verkaufen. Diese retail politics ist vor allem für die USA typisch. Gerade in den primaries muss jeder Kandidat aufgrund des Wahlsystems Kampagnen machen – es dann um alles oder nichts.

BISS35: Wo sind die Hauptunterschiede zu der Art, wie wir in Deutschland Wahlkampf betreiben? Stimmt das Vorurteil, dass in den USA alles mehr Show ist?

Julius van de Laar: Die Debatte um das Hashtag “Laschet lacht” hat ja gezeigt, wie tief unsere inhaltliche Ausprägung im letzten Bundestagswahlkampf war. Die These, in den USA sei alles Luftballon und Konfetti, aber bei uns gehe es um tiefergehende und von Think Tanks gesteuerte Debatten, halte ich für falsch.

Was an dieser Stelle immer in Deutschland erwähnt wird, ist dass die Amerikaner einen viel datengetriebenen Wahlkampf führen. Das ist aber bei weitem nicht alles:
Die Art der Polarisierung in Deutschland ist weit entfernt von dem, was wir aus den USA kennen. Wir befinden uns eher in einem Sortierungsprozess, wo wir uns darüber klar werden, was überhaupt die unterschiedlichen Positionen sind. Auch das Mediensystem in den USA ist ein ganz anderes: Ein Fox News gibt es hier nicht. Darüber hinaus ist der Wahlkampf in den USA nach wie vor viel digitaler. Ich würde sogar behaupten, der deutsche 2021er-Wahlkampf war der analogste Wahlkampf der letzten Jahre. Er war geprägt vom Bild einer Flut, vom Bild einer Veranstaltung und allem, was die Kandidaten in TV-Triellen gesagt haben. In den USA können dagegen einzelne Tweets die öffentliche Debatte maßgeblich beeinflussen.

Auch das Geld ist ein großer Unterschied. Mit dem Wahlkampfbudget der CDU für die Bundestagswahl kommt ein einzelner Senator aus Kalifornien nicht sehr weit.
Schließlich ist das Parteiensystem ein ganz anderes. In den USA haben wir zwei, hier sind es vier bis fünf relevante Parteien. So decken die Demokraten das Spektrum von CDU bis Sarah Wagenknecht ab, ähnlich ist es mit den Republikanern in die andere Richtung.

BISS35: Was macht aus Deiner Sicht einen guten Wahlkampf aus? Was würdest Du unseren Kandidaten raten?

Julius van de Laar: Wir nehmen Informationen immer besser auf, wenn sie als Geschichte erzählt werden. Man sollte also über einen Wahlkampf wie über eine Fernsehstaffel nachdenken. Jede Kampagne muss eine Geschichte sein – und gleichzeitig eine Antwort auf eine Frage. Es gilt nun rauszufinden, was die Frage da draußen ist, die beantwortet werden muss. Oder, und das ist aus meiner Sicht die bessere Variante, es gelingt Dir, in den Köpfen der Wähler selbst die Frage zu definieren, die Du beantworten willst – weil Du mit Deiner Geschichte der Einzige bist, der sie gut beantworten kann.

Eine Urweisheit der politischen Kommunikation – und das ist angesichts unserer kurzen Wahlzyklen sicher nicht ganz unproblematisch – lautet: Löse nie ein Problem, das keiner hat. Kein Durchschnittswähler interessiert sich primär für das, was in zwanzig oder dreißig Jahren ist. Deswegen lautet das Credo: Verkauf das Problem, das Du löst und nicht die Lösung.

Letztlich ist jeder Wahlkampf auch ein Wettlauf um die Deutungshoheit. Ich muss diesen Wettlauf so definieren, dass ich am Schluss die beste Wahl bin. Ich muss klar machen, was mich auszeichnet und wohin ich das Land führen will, das promised land als Ziel. Gleichzeitig versuche ich ein Problem auf dem Weg dorthin zu zeichnen, das ich mit meinem Kontrahenten verknüpfe.

BISS35: Die CDU kämpfte 2021 mit dem Problem, dass sie die jungen Wählerschichten nicht mehr durchdringt. Liegt das an der Art, wie wir kommunizieren? Oder an unseren Inhalten?

Julius van de Laar: Aus meiner Sicht liegt es zunächst an der Message, dann am Messenger – und erst dann am Medium. Bernie Sanders war sicherlich nicht der effektivste Kommunikator und der intensivste TikTok-Nutzer.

Aber um die Frage zu antworten, warum ein überproportionaler Teil der Erstwählerinnen und Erstwähler die FDP gewählt haben: Ich glaube, dass sich große Teile dieser Generation danach gesehnt hat, endlich frei und unbeschwert zu feiern, zu reisen oder eine Abi-Fahrt zu machen. Es war viel mehr das Versprechen von Freiheit, als die besonders effektive Nutzung von TikTok oder anderer sozialer Medien. Die CDU als Partei in Regierungsverantwortung, die zwei Jahre lang die Corona-Maßnahmen angekündigt und dann auch durchgesetzt hat, war hier in einer schwierigen Position. Dazu kommt aber natürlich auch, dass die Kandidaten der FDP, insbesondere Christian Lindner altersmäßig deutlich näher an der Zielgruppe waren, als es der Spitzenkandidat der CDU je hätte sein können.

BISS35: Im Mai 2021 steht die Landtagswahl an. Mit Hendrik Wüst haben wir einen jungen Kandidaten mit einem gewissen Amtsbonus. Was würdest Du uns als JU und CDU raten?

Julius van de Laar: Da verweise ich zunächst noch einmal auf die generellen Ratschläge von eben.

Gleichzeitig lässt sich sagen: Diese Landtagswahl kann ein Referendum über den status quo werden oder eine Weggabelung zwischen zwei politischen Philosophien. Bei einem Referendum fragst Du den Wähler: Geht es Dir nach fünf Jahren Schwarz-Gelb besser als vorher? Geht es Dir unter Hendrik Wüst besser als unter Hannelore Kraft? Der Amtsinhaber wird ein solches Referendum in aller Regel verlieren.

Deswegen ist es Eure Aufgabe diese Wahl zu einer Weggabelung zu machen: Wir oder die. Ein tolles Beispiel hierfür ist die Wiederwahl von Obama 2012. Eigentlich hätte er diese Wahl verlieren müssen. Er hatte vier Jahre Zeit, die größte Wirtschaftskrise in den Griff zu bekommen. Obama hat die Wirtschaft aus der größten Rezession seit der Großen Depression herausgeführt, doch der wirtschaftliche Aufschwung ist bei vielen Amerikanern nicht in vollem Ausmaß angekommen.

Im Gegensatz zur Wahl von 2008 war die 2012er-Wahl aber in ihrer Botschaft negativer. Mitt Romney wurde als Killer-Kapitalist dargestellt, der für das wohlhabendste 1 % der Gesellschaft Politik macht. Die Botschaft der Obama-Kampagne lautete also: Gehört ihr zu den anderen 99 %, müsst ihr Obama wählen. Man kann das negative campaigning nennen – oder voter education: Man muss den Wählern erklären, wer der andere Kandidat eigentlich ist.

Darum geht es vielleicht auch bei Euch in NRW. Bevor der Gegenkandidat sich selbst definieren kann, müsst ihr ihn definieren. Ihr müsst diese Wahl zu einer choice, einer Weggabelung machen.

Das Interview führten Fabio Crynen und Arvid Hüsgen.

Kontaktperson

Arvid Hans Hüsgen

Pressesprecher

+49 211 1360048

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