Im Mai 2021, ein Jahr vor der Landtagswahl, erarbeiteten die Jugendorganisationen von CDU NRW und FDP NRW ein gemeinsames Positionspapier, um junge Forderungen für die Zeit „Post Corona“ an die Landesregierung zu senden. Vor der Wahl blicken wir mit den beiden Landesvorsitzenden Alexander Steffen (JuLis NRW) und Johannes Winkel auf die aktuelle Situation.

BISS35: Was hat die Zusammenarbeit zwischen den Jugendorganisationen Junge Liberale NRW und Junge Union NRW sowie Euch beiden als Landesvorsitzenden in den letzten Jahren ausgemacht?

Alexander Steffen: Ein großer Vorteil ist es, wenn man sich auch auf einer persönlichen Ebene versteht. Als wir im Mai des vergangenen Jahres unser gemeinsames Positionspapier von JU und JuLis ausgearbeitet haben, ist das nochmal deutlich geworden. Gleiches gilt für die Arbeitsgruppen des Papiers – von dort habe ich auch nur positive Resonanz zur Zusammenarbeit bekommen. Natürlich gehört auch zur Wahrheit, dass man in diesen Gruppen schnell gemerkt hat, dass wir an verschiedenen Stellen ähnliche Ziele verfolgen. Zwischen JU und JuLis gibt es schon noch mitunter deutliche Unterschiede, aber wir wissen um unseren gemeinsamen Nenner und die gemeinsame Richtung für die Zukunft Nordrhein-Westfalens.

Johannes Winkel: Schon als wir uns kennengelernt haben – lange bevor wir beide überhaupt Landesvorsitzende geworden sind – konnten wir diese gemeinsame Richtung feststellen. Im Herbst 2019, im Hype der „Fridays for Future“-Bewegung, waren wir beide zu Gast auf einer Podiumsdiskussion in einer Schule in Köln Lindenthal. Außerdem saßen auf diesem Podium die damaligen Bundesvorsitzenden der Jusos und Grünen Jugend, mit denen wir dann über den Klimaschutz diskutiert haben. Ich weiß nicht, ob man es Dir vorab gesagt hatte Alexander – mir jedenfalls nicht – aber im Anschluss wurde abgestimmt. Da war mir zumindest klar, wieso wir beide dort für unsere Vereinigungen saßen. Aber – gemeinsam haben wir uns nicht schlecht geschlagen und die Bundesvorsitzende der Grünen Jugend auf den letzten Platz geschickt. Bei dieser unbeabsichtigten Feuertaufe war man sich im Grunde schon sympathisch – das hat sich später auch substanziell in unserer Zusammenarbeit gezeigt, ganz konkret bei dem POST CORONA-Positionspapier.

BISS35: Konntet ihr gemeinsame Forderungen aus dem Positionspapier „POST CORONA – Junge Politik für Nordrhein-Westfalen“ ausmachen, die es schließlich in die Wahlprogramme der jeweiligen Mutterparteien geschafft haben?

Johannes: Ein prominentes Beispiel ist sicherlich der Freibetrag zur Grunderwerbsteuer. Schon in dem Positionspapier haben wir beschlossen, dass NRW von einem Land der Mieter zu einem Land der Eigentümer werden soll, in dem insbesondere junge Familien ihren Traum vom Eigenheim verwirklichen können. Deshalb soll nun gezielt – und nicht nach dem Prinzip Gießkanne – die Grunderwerbsteuer für den Ersterwerb von selbstgenutztem Eigentum mit einem Freibetrag von 250.000 Euro pro Erwachsenen und 100.000 Euro pro Kind versehen werden.

Alexander: Wenn ich mir unser Wahlprogramm anschaue, dann gibt es da einige Positionen. Insbesondere in den Bereichen Bildung, Digitalisierung und Wirtschaft konnten wir als Jugendorganisation im Programmprozess unsere Themen zur Geltung kommen lassen. Ich würde darüber hinaus die These aufstellen, dass wir JuLis als Jugendorganisation, aber von außen betrachtet auch die JU NRW, sich ein besseres Mitspracherecht erarbeitet haben, als es bei anderen Parteien der Fall ist.
III. Abseits der vielen landespolitischen Themen bestimmt derzeit der Krieg in der Ukraine unser aller Alltag. Wie wirkt sich dieser auf den Wahlkampf aus? Darf Wahlkampf unter solchen Vorzeichen „Spaß“ machen.

Johannes: Grundsätzlich ist Außen- und Sicherheitspolitik eine Sache des Bundes. Das soll allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, wie umfassend die Folgen dieses Krieges sind, für Landesebene bis in jede Kommune hinein. Wir merken derzeit eine unglaubliche Hilfsbereitschaft in ganz Deutschland. Diese müssen wir seitens der Politik stützen und stärken, auch im Wahlkampf. Als Wahlkämpfer macht uns die Situation der jungen Menschen in der Ukraine, aber auch in Russland, demütig, angesichts des dortigen buchstäblichen Kampfes für Demokratie und die politische Meinungsfreiheit.

Alexander: Das wir überhaupt so frei über politische Themen streiten können, lernt man derzeit auf einer neuen Ebene wertzuschätzen. Allerdings sollte man trotzdem aufpassen – Themen wie die derzeitige Flüchtlingsfrage, die ja auch eine administrative Herausforderung in der Kürze der Zeit darstellt, scheint kein gutes Thema für ausschweifende Debatten zu sein. Wir müssen nun die bestmöglichen Gegebenheiten schaffen, damit sich die Menschen hier sicher und gut aufgehoben fühlen.
Ob Politik und Wahlkampf, trotz Demut und auch Traurigkeit angesichts dieser schrecklichen Situation in der Ukraine dennoch Spaß machen darf? Ja – das sollte Wahlkampf auch weiterhin. Ich halte einen ausgelassenen Wahlkampf, für den viele zehntausende Menschen in NRW bereit sind in ihrer Freizeit politisch zu streiten, für ein gutes Zeichen. Offener und fairer Wahlkampf ist ein wichtiger Pfeiler unseres demokratischen Systems. Gerade auch den Menschen, die jetzt hier vor Ort sind und in ihrer Heimat für ein solches System gekämpft haben, sollten wir zeigen, was politisch alles möglich ist.

BISS35: Die Ukraine-Krise stellt unsere Energieversorgung vor ungeahnte Herausforderungen. Kohleausstieg wird nun sogar für 2030 diskutiert. Müssen wir wieder über Atomkraft reden, über den Ausstieg vom Ausstieg?

Johannes: In der jetzigen Situation sollte man gar nichts abschalten. Für Deutschland, aber besonders auch für den Wirtschafts- und Industriestandort NRW ist es angesichts der derzeitigen geopolitischen Ungewissheiten wichtig, möglichst viel unabhängige Energieerzeugung aufrechtzuerhalten. Das gilt auch für die Atomkraft. Ich glaube generell, dass wir in den letzten Jahren Energiepolitik zu ideologisch getrieben betrachtet haben. Dabei haben wir ein Stück weit vergessen, das ganze Thema Energie unter dem Gesichtspunkt Wirtschaftlichkeit und vor allem Versorgungssicherheit zu sehen.

Alexander: Beim Thema Atomkraft haben die Jungen Liberalen eine klare Position – wir sind keine Kernenergiefeinde. Unser Credo: Wir wollen auf Innovation und kluge Forschung setzen. Auch wenn man politisch zur Entscheidung kommt, wie sie getroffen worden ist, dann müsse doch wenigstens weiter an dieser Technologie geforscht werden. Deutschland muss seine derzeit hohe Expertise beibehalten und mit seinen hohen Sicherheitsstandards die technologische Weiterentwicklung global in die richtige Richtung begleiten. Wir sind vor allem eines – technologieoffen. Nichtsdestotrotz sehen wir für NRW und Deutschland die Realität beim Thema Atomkraft. Ein großes Umdenken, dass man Kraftwerke nicht nur auf Zeit weiterlaufen ließe, sondern mit neuer fortschrittlicher Technologie auch wieder bauen würde, halten wir für unwahrscheinlich.

BISS35: Die JuLis setzen sich – wie auch die JU - für bildungspolitischen Wettbewerb ein. Die SPD hat erstmals darauf verzichtet, eine Einheitsschule bzw. längeres gemeinsames Lernen zu fordern. Ist das glaubwürdig? Was würde NRW bei einem Regierungswechsel blühen?

Alexander: Das ist absolut unglaubwürdig. Ich habe besonders diesen Teil des SPD-Wahlprogramms mit großem Interesse gelesen und war sehr überrascht, dass da quasi nichts drinsteht, was das Schulsystem betrifft. Allerdings wissen wir alle was die SPD will. Das hat sie abseits der anstehenden Wahl bereits deutlich gemacht: Die leistungslose Schule – keine Noten, kein Sitzenbleiben – und am besten eine einheitliche Schulform. Das möchten die wenigsten und deshalb schreibt man es nicht ins Programm. Die Hauptschulen lässt man langsam sterben, die Realschulen schiebt man weiter Richtung Gesamtschulen und ein Gymnasium soll es nur noch ohne Noten und ohne Sitzenbleiben geben. Dann hätten die Schulen in Zukunft vielleicht noch unterschiedliche Namen, aber unterscheiden sich für die individuellen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler in NRW nicht mehr. Für die JuLis in NRW ist das eine der wichtigsten Fragen der Landtagswahl: Welches Niveau soll das Schulsystem in NRW haben? Unsere Antwort ist klar: Keine Einheitsschule, stattdessen individuelle Talente stärken.

BISS35: Eine Gruppe, die in der Corona-Krise leider oft erst an zweiter oder gar dritter Stellen stand, waren die Studenten. Was müsste sich in den nächsten fünf Jahren in NRW an den Hochschulen und Universitäten ändern?

Johannes: Die Corona-Pandemie war ein Schreckmoment für die Universitäten und Hochschulen, der sich leider auch über das erste Corona-Semester hinauszog. Der Schreck bestand wohl vor allem darin, wie weit man bei der Digitalisierung des Lehrbetriebes hinterherhinkte. Zum Lernen, gerade an Universitäten, gehört auch die persönliche Begegnung, sei es mit Professoren, Dozenten oder den Kommilitonen. Deshalb begrüßen wir auch das Vorhaben in unserem Wahlprogramm, die finanziellen Mittel zur hauptamtlichen Betreuung von Studentinnen und Studenten um rund ein Sechstel, auf 350 Millionen Euro zu erhöhen. Das darf allerdings keine Ausrede sein – aus jedem größeren Hörsaal in NRW müssen Vorlesungen auch gestreamt werden können. Die Coronasemester als Freisemester zu werten war eine gute Entscheidung, ob nun für die Regelstudienzeit oder die prüfungsrechtlichen Auswirkungen des eingeschränkten Lehrbetriebs. Die Digitalisierungsoffensive der Landesregierung war ebenfalls ein guter Anfang, den man jedoch strategisch weiterdenken muss. Die Universität von Morgen muss auf hybrides Lehren und Lernen eingestellt sein.

BISS35: Jusos und GJ haben vor kurzem ein Positionspapier für „linke Mehrheiten“ aufgesetzt. Welchen Realitätscheck müsste dieses Utopistenbündnis durchlaufen, um wie angekündigt „echten Fortschritt“ zu bieten?

Alexander: Ein bemerkenswertes Papier, vielleicht nicht im Umfang und Inhalt, aber man meint hier eine Fusionserklärung zu lesen. Dieser Realitätscheck würde die Jugendorganisationen wohl ziemlich schnell bei den Themen Klima-, Wirtschafts- und Industriepolitik ereilen, vor allem wenn man betrachtet, was die letzte rot-grüne Landesregierung auf den Weg, beziehungsweise wohl eher nicht auf den Weg gebracht hat, was dieser Wunschvorstellung entsprechen würde.

Johannes: Das stimmt. Zum einen ist diese vermeintliche Fusionserklärung während des Wahlkampfes durchaus spannend. Andererseits sollte man auch nochmal genauer betrachten, wie dieses Papier zu Lasten der Jusos und zu Gunsten der Grünen Jugend ausfällt. Sympathisch ist natürlich, wie offen mit den eignen Positionen umgegangen wird. Dort wo die „linke Mehrheit“ den eigenen Mutterparteien zu links wird, die sich ja schließlich auch noch als Parteien der (linken) Mitte verstehen, ist dieses Papier für junge Wähler der Mitte auf jeden Fall ein Weckruf. Da stellt sich mir abschließend bloß die Frage, wem diese Kampfansage eigentlich galt.

Das Interview führten Fabio Crynen und Arvid Hans Hüsgen

Kontaktperson

Arvid Hans Hüsgen

Pressesprecher

+49 211 1360048

Vorheriger Beitrag Nächster Beitrag

Jetzt teilen: