Kerstin Andreae ist Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung und Mitglied des Präsidiums BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V.

Vor uns liegt ein großes Ziel: Eine klimaneutrale Gesellschaft bis zum Jahr 2045. Dieses Ziel ist hoch-ambitioniert, aber machbar. Es wird uns alles abverlangen, in der Energiewirtschaft, aber auch in allen anderen Industriebranchen. Meine Branche, die Energiewirtschaft, hat sich längst entschlossen auf den Weg gemacht: Die Energiewende ist Teil ihres täglichen Handelns und Entscheidens geworden. Unsere Leitlinie dabei: Versorgungssicherheit, Energiewende und die dafür notwendigen Netzinfrastrukturen gehören zusammen.

Eine erfolgreiche Energiewende ist heute auch ein unverzichtbarer Bestandteil moderner Wirt-schaftspolitik: Die Verfügbarkeit von grünem Strom wird immer stärker zum Standortfaktor. Aus meiner Sicht sind deshalb neue Industrie-Allianzen in Deutschland notwendig. Wir als Energiewirtschaft wollen die Perspektiven bündeln im Schulterschluss mit den großen Energieabnehmern. Genauso wichtig ist für uns der Dialog mit der Automobilindustrie zum Hochlauf der Elektromobilität. Auch der Mittelstand ist ein wichtiger Ansprechpartner, gleiches gilt für das Handwerk, das bei der Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen vor Ort eine eminent wichtige Rolle spielt. Die Gewin-nung von Nachwuchs in den technischen Berufen muss deshalb Priorität haben.

Dreh- und Angelpunkt der Energiepolitik muss der beschleunigte Ausbau der Erneuerbaren Ener-gien sein. Denn Klimaneutralität 2045 schaffen wir nur, wenn künftig neben der Stromerzeugung auch der Wärmemarkt und der Verkehrssektor sowie industrielle Prozesse weitestgehend über Erneuerbare Energien gedeckt werden. Dass wir hier noch eine lange Wegstrecke vor uns haben, verdeutlichen folgende Zahlen: Zwar stammten fast 50 Prozent des in Deutschland im vergangenen Jahr verbrauchten Stroms aus Erneuerbaren Energien. Bei Betrachtung des gesamten Energiever-brauchs fällt der Anteil der Erneuerbaren jedoch deutlich geringer aus. Nur rund 17 Prozent des sogenannten Primärenergieverbrauchs wurden im Jahr 2020 wie auch im ersten Quartal 2021 durch regenerative Energien gedeckt. Wir dürfen deshalb nicht aus den Augen verlieren, dass die Ener-giewende nicht nur eine Stromwende, sondern auch eine Industrie-, Wärme- und Verkehrswende ist. Auch hier kommen neue Stromverbraucher hinzu, zum Beispiel Wärmepumpen, Elektrofahr-zeuge und Power-to-X-Anlagen. Der konsequente Ausbau der Erneuerbaren ist die Grundvoraus-setzung für deren Versorgung mit grünem Strom sowie die Produktion von grünem Wasserstoff.

An vielen Punkten wird die Energiewende bisher allerdings noch massiv ausgebremst. Ob die Aus-bauflaute bei der Windenergie, der fehlende PV-Boom oder Hemmnisse im Wärmemarkt – an vie-len Stellen werden vielversprechende Klimaschutzlösungen blockiert.

Die Planungs- und Genehmigungsverfahren sind aktuell mit großen Hürden verbunden, nehmen viel Zeit in Anspruch. Bescheide werden häufig gerichtlich angefochten. Zudem scheitern viele Pro-jekte bereits in der Anfangsphase oder werden unnötig verzögert, weil die erforderlichen Flächen einfach nicht zur Verfügung stehen. Das liegt unter anderem an einem grundsätzlich pauschalen Ausschluss von Flächen – sei es durch eine forst- oder landwirtschaftliche Nutzung oder durch Ab-standsregelungen zur Wohnbebauung. Die Zeit für Verzagtheit oder Halbherzigkeit ist allerdings vorbei. Jetzt ist die Zeit für entschiedenes Handeln. Die Energiewirtschaft in ihrer ganzen Akteurs-vielfalt steht bereit. Mit ihren Investitionen, Produkten, Dienstleistungen und Infrastrukturen, ih-ren Ideen und Erfahrungen schafft sie auch die Basis für eine erfolgreiche Dekarbonisierung im Verkehr, im Gebäudebereich sowie in Industrie und Gewerbe.

Umso erfreulicher ist es, dass die neue Bundesregierung Tempo bei der Energiewende aufnehmen will. Der Koalitionsvertrag enthält viel Substanz, so kann beispielsweise schon das geplante Klima-schutz-Sofortprogramm wichtige Knoten lösen. Wichtig ist, dass die neue Bundesregierung schnell ins Handeln kommt und die selbst gesteckten zeitlichen Ziele einhält. Die Schnelligkeit bei der Um-setzung und die konkrete Ausgestaltung der einzelnen Maßnahmen werden darüber entscheiden, wie erfolgreich sie am Ende sein werden.

Besonders begrüßenswert ist die geplante Abschaffung der EEG-Umlage bis 2023. Sie entlastet Stromkundinnen und Stromkunden sowie den Mittelstand. Zugleich werden umweltfreundliche strombasierte Anwendungen wie Elektromobilität oder Wärmepumpen attraktiver, der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft unterstützt und Bürokratie spürbar abgebaut.

Die im Koalitionsvertrag angedachten Vereinfachungen von Planungs- und Genehmigungsverfahren haben das Potenzial den Ausbau der Erneuerbaren Energien wieder deutlich zu beschleunigen. Wichtige Hebel sind die geplanten bundeseinheitlichen Regelungen beim Artenschutz, einfachere Repowering-Verfahren sowie die technische, personelle und organisatorische Stärkung der Behörden. Auch die Flächenbereitstellung von zwei Prozent der Bundesflächen für Windkraftanlagen und die PV-Pflicht für Gewerbe können zusätzlich Wind unter die Segel des Erneuerbaren-Ausbaus bringen.

Der im Koalitionsvertrag geplante vorgezogene Kohleausstieg kann nur gelingen, wenn wir die Kohleverstromung überflüssig machen. Dafür sind drei Punkte erforderlich: Die erneuerbaren Energien müssen massiv ausgebaut werden, neue effiziente Gaskraftwerke und Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen auf Basis von Gas müssen für die erforderliche gesicherte Leistung errichtet werden und die entsprechende Netzinfrastruktur vorhanden sein. Nur so bleiben Versorgungssi-cherheit bei Strom und bei Wärme gewährleistet.

Leitmotiv aller energiepolitisch Handelnden muss die Ermöglichung sein: Vorhabenträger, Verwaltung und Gesetzgeber müssen gemeinsam das übergeordnete gesellschaftliche Ziel verfolgen, die Energiewende möglich zu machen. Aber wir sollten auch der Bevölkerung und Interessengruppen mehr Verantwortung zutrauen und sie aktiv in Entscheidungen mit einbinden. Wir müssen uns in Erinnerung rufen, dass der Umbau der Energieversorgung Wertschöpfung und Jobs mit Zukunft schafft. Bezahlbare und saubere Energie, Versorgungssicherheit, Teilhabe und Komfort sichern die breite Akzeptanz der Energiewende nachhaltig.

Ein klimaneutrales Land, ein klimaneutrales Europa – das ist eine riesige Chance und ein Versprechen an künftige Generationen. Wir können das gemeinsam schaffen, wenn wir Allianzen schmieden, die neue Bundesregierung Tempo macht und Steine aus dem Weg geräumt werden.

Kontaktperson

Arvid Hans Hüsgen

Pressesprecher

+49 211 1360048

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