Die soziale Marktwirtschaft gehört zur Bundes- republik Deutschland wie das Grundgesetz. Unter dem Eindruck von Krieg und Zerstörung und gestützt von Zweifeln am Kapitalismus versuchte man sich in den 1940er-Jahren an einem Kompromiss: der Verknüpfung von einer Wettbewerbswirtschaft, die die Kräfte der freien Initiative mit einem sozialen Ausgleich verbindet, wie es der Ökonom Alfred Müller-Armack, der als Erfinder des Begriffs der Sozialen Marktwirtschaft gilt, auf den Punkt brachte.
Der Grundgedanke ist simpel. Der ungebremste Kapitalismus führt zwar unstrittig zu einem enormen technischen Fortschritt und damit zu wirtschaftlichem Wachstum, die Früchte dieses Wachstums sind jedoch sehr konzentriert und gehen auch mit Härten für viele Menschen einher. Der Sozialismus hingegen mag zwar zu einer (Ergebnis-)gleicheren Gesellschaft führen, krankt jedoch an einem Mangel an Innovation und technischem Fortschritt. Die Vorteile des freien Marktes mit einer Komponente des sozialen Ausgleichs zu verbinden, war somit die naheliegende und dennoch revolutionäre und anfangs durchaus umstrittene Idee. Den Arbeitnehmern und den ihnen nahestehenden Parteien ging sie nicht weit genug, der Wirtschaft hingegen zu weit.
Doch es dauerte nicht lange und die soziale Marktwirtschaft wurde zum beliebten und populären Modell in Deutschland, sicherlich begründet im unerwarteten und beeindrucken- den Aufschwung der aus den Ruinen des Krieges auferstandenen deutschen Wirtschaft. Das Wirtschaftswunder war die beste Werbung für die soziale Marktwirtschaft.
Spätestens mit den Krisen Anfang der 1980er- Jahre kam es zum Wandel. Erstmals wurde Arbeitslosigkeit zum Problem, Reformen am System wurden erforderlich und schließlich mit den Hartz-IV-Reformen in den Frühen der 2000er-Jahren auch umgesetzt. Viele Menschen nahmen dies als Bruch mit den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft wahr und in den letzten 20 Jahren ging es nur darum, diese Reformen umzudrehen, was letztlich, in Form des aktuellen Bürgergeldes, vollständig gelungen ist.
Zu Recht? Darüber lässt sich durchaus streiten. Die soziale Komponente der sozialen Markt-
wirtschaft wächst seit Jahren schneller als die Wirtschaftsleistung. Lag die Summe aller Sozial- leistungen 1960 noch bei 18,3 Prozent des Brutto- inlandsprodukts (BIP), stieg sie kontinuierlich auf über 30 Prozent an. Immer größere Teile des erwirtschafteten Wohlstands werden auf immer mehr Begünstigte umverteilt. Immer mehr dieser Umverteilung findet innerhalb der Mittelschicht statt und nicht, wie man erwarten würde, von reich zu arm.
Unmittelbare Folge dieser immer weitergehen- den Umverteilung ist eine Einschränkung der Freiheiten der Bürger. Je mehr diese an Abga- ben und Steuern an den Staat leisten müssen – um dann wiederum in Abhängigkeit von be- stimmten Eigenschaften oder Verhaltensweisen Zahlungen vom Staat zu erhalten –, desto gerin- ger ist ihre Autonomie. Dabei ging es den Vätern der sozialen Marktwirtschaft ausdrücklich darum, individuelle Freiheit und auch das per- sönliche Gewinnstreben zu erhalten.
Im Extremfall geht es so weit, dass es sich für bestimmte Personengruppen nicht lohnt, offiziell am Erwerbsleben teilzunehmen, weil die Leistungen des Sozialstaates nur marginal unter den möglichen Nettoeinkünften aus Erwerbstätigkeit liegen. Ein Problem, welches durch die jüngsten Leistungserhöhungen verschärft wird.
Doch das ist nicht das einzige Problem, vor dem die soziale Marktwirtschaft in Deutschland heute steht. Fest verbunden mit der sozialen Komponente war der Grundsatz, dass der Staat sich aus der freien Preisbildung für Güter und Leistungen am Markt heraushält, das Privateigentum an Produktionsmitteln schützt und einen rechtlichen Rahmen für die persönlichen Freiheitsrechte wie Gewerbe-, Konsum-, Vertrags-, Berufs- und Koalitionsfreiheit im alltäglichen Marktgeschehen und in der Arbeitswelt gewährleistet. Ausdrücklich nicht vorgesehen war, dass der Staat versucht, der bessere Unternehmer zu sein. Aktive Eingriffe in die Wirtschaft sollten die Ausnahme bleiben.
Wir müssen feststellen, dass nicht nur die Sozial- leistungsquote stetig steigt, spiegelbildlich greift der Staat immer mehr in das Wirtschafts- geschehen ein. Eine Interventionsspirale ist die Folge. Weil der erste Eingriff (nehmen wir als Beispiel die Mietpreisbremse) zu erwartbaren, aber für die Politik überraschenden Ausweichreaktionen führt, (in diesem Fall zu der Vermietung möblierter Wohnungen und einem Rückgang des Neubaus) sind immer mehr Interventionen die Folge, vom Mietendeckel bis zur Enteignung großer Immobilienunternehmen.
Besonders augenfällig ist das im Zusammenhang mit der Klimapolitik. Statt sich auf die Rahmensetzung durch CO2-Preise und Emissionszertifikate zu beschränken, gefällt sich die Politik darin, den konkreten Weg der CO2-Vermeidung vorzuschreiben. Von Wärmepumpenpflicht bis zur Förderung von Lastenfahrrädern führt das dazu, dass besonders teure und ineffiziente Maßnahmen ergriffen werden. Verbunden wird das oft mit weiteren Transfers, die zusätzlich Bürger und Unternehmen belasten.
Die begünstigten Unternehmen verlieren umgekehrt den Druck, sich am Markt zu behaupten und konzentrieren sich darauf, die staatlichen Subventionen zu sichern. Das funktioniert aber nur für eine begrenzte Zeit, auf die dann der Niedergang folgt. Als Beispiel sei an die Solarindustrie erinnert, die mehr als 80 Milliarden Euro an Subventionen erhalten hat und nun von China dominiert wird.
Die soziale Marktwirtschaft lebt davon, dass die Marktwirtschaft funktionieren kann und das Soziale zielgerichtet jenen hilft, die sich nicht selbst helfen können. Beides ist heute nicht mehr der Fall, was gleichermaßen zu einer Erosion der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sowie einer Überforderung des Sozialstaates führt. Es ist höchste Zeit für eine Rückbesinnung.

Kontaktperson

Patrick Possmayer

Mitarbeiter

Vorheriger Beitrag

Jetzt teilen: