Am 26. September entscheidet sich, ob Armin Laschet wenig später vom Deutschen Bundestag zum neunten Bundeskanzler der Geschichte gewählt wird – und die Union weiterhin die Zukunft unseres Landes gestalten wird. Unser Chefredakteur Fabio Crynen sprach mit dem Ministerpräsidenten über sein Wahlprogramm, die Debattenkultur in unserem Land, und was er vom Rhein an die Spree mitnehmen wird.

BISS35: Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, das Regierungsprogramm der Union steht unter dem Leitbild des „Modernisierungsjahrzehnts“. Modernisierung ist aber sicher kein Selbstzweck. Wieso braucht es gerade jetzt diesen Aufbruch in eine neue Zeit?

Wir erleben einen weltweiten Epochenwechsel und sehen tiefgreifende Veränderungen: Klimawandel, Strukturwandel, digitaler, demografischer und technologischer Wandel. Eine wachsende Polarisierung bedroht unseren Zusammenhalt. Machtverhältnisse auf der Welt verschieben sich. Diese gewaltigen Herausforderungen gilt es zu gestalten.
Deutschland ist ein starkes Land. Unser Staat ist verlässlich, sozial und sicher. Die Corona-Pandemie hat aber auch Schwachstellen gezeigt. Fax-Geräte in Gesundheitsämtern und digitale Bildung sind nur einige Stichworte. Wir brauchen gerade jetzt ein Modernisierungsjahrzehnt, um unser Land umfassend auf die Zukunft vorzubereiten. Das ist der Anspruch, mit dem wir gestalten wollen.

BISS35: Bei der „Moderne“ als Leitwort werden die meisten an eine progressive Politik denken. Als CDU haben wir aber auch immer für eine werteorientierte Politik geworben, getreu dem Motto: kein Fortschritt um jeden Preis. Findet sich auch die konservative Seite unserer Partei im Regierungsprogramm wieder?

Unser Regierungsprogramm setzt bewusst die Botschaft: Stabilität und Erneuerung. Wir rennen nicht blind in eine Veränderung, die alles wegfegt, was gut ist, sondern wir machen das Gute besser. Nicht in der Vergangenheit leben, aber aus der Vergangenheit und auf der Grundlage unserer Werte die Zukunft gestalten – das unterscheidet uns von den Ewiggestrigen und Reaktionären genauso wie von den Träumern.

BISS35: Zur Moderne gehört auch die Erkenntnis, dass deutsche Unternehmen im Bereich der Digitalwirtschaft nicht konkurrenzfähig sind: Apple, Amazon und Microsoft sind allein höher bewertet als alle 30 DAX-Unternehmen zusammen. Wie schaffen wir es, ein europäisches Gegengewicht zur Plattformindustrie zu entwickeln?

Das ist eine Kernfrage für unsere wirtschaftliche Zukunft, auch wenn wir nicht unbedingt ein reines Gegengewicht zur Plattformindustrie schaffen müssen. Wir wollen unseren eigenen europäischen Weg gehen und digitale Plattformen sind nur ein Bestandteil davon. Zwei Kernelemente sind wichtig:
Erstens müssen wir unsere industriellen Stützpfeiler in die Zukunft führen. Dazu gehören Sektoren wie die Automobilindustrie, der Maschinenbau und die chemische Industrie. Volkswagen baut beispielsweise gerade seine Software-Kapazitäten massiv aus. Die Software-Einheit Cariad hat bereits mehr als 4.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die am digitalen Betriebssystem für Autos arbeiten. Wir brauchen aber auch den richtigen gesetzlichen Rahmen. So hat Deutschland gerade als erstes Land weltweit mit dem Gesetz zum autonomen Fahren die Möglichkeit geschaffen, dass auch voll automatisiertes Fahren der Stufe 4 im Alltagsverkehr genutzt werden kann. Das ist ein Meilenstein.
Der zweite Stützpfeiler ist der Aufbau neuer Unternehmen. Bereits heute schaffen Start-ups indirekt 1,6 Mio. Arbeitsplätze. Wir wollen, dass die Gründerinnen und Gründer noch bessere Bedingungen bekommen.
Beide Bereiche sind essenziell, damit Deutschland und Europa auch zukünftig zur weltweiten wirtschaftlichen Spitze gehören.

BISS35: Die Herausforderungen, vor denen unsere Gesellschaft und unser Land stehen, sind groß. Ihre Bewältigung wird dementsprechend kostenintensiv. In der Januarausgabe der BISS35 haben Sie in ihrem Gastbeitrag geschrieben, die junge Generation müsse die Garantie erhalten, in Zukunft über finanzielle Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten zu verfügen. Wie wollen Sie diese Garantie gegenüber potenziellen Koalitionspartnern durchsetzen?

Wir haben mit Blick auf die Bewältigung der Pandemie und auch mit Blick auf die Bewältigung der Flutkatastrophe gewaltige Herausforderungen zu stemmen. Der Staat muss in solchen Krisen zupackend handeln, denn wir lassen niemanden im Stich. Für unsere Haushalts- und Finanzpolitik gilt ein Dreiklang: Investieren statt Blockieren, Solidität statt Schulden, Entlasten statt Belasten. Wir brauchen Wachstum für mehr finanziellen Spielraum. Das erreichen wir, indem wir Entfesselungspakete für die Wirtschaft schnüren. Sie führen zu Wachstum und geben Möglichkeiten zum Entlasten. Und klar ist auch: Wir bekennen uns zur grundgesetzlichen Schuldenbremse. Sie hat Verfassungsrang und daran kommt auch kein Koalitionspartner vorbei. Damit sichern wir die Gestaltungsspielräume für die junge Generation.

BISS35: Die Klimapolitik ist bei allen politischen Parteien ganz oben auf der politischen Agenda. Häufig gewinnt man dabei den Eindruck, die Klimadebatte gehe an den Menschen in unserem Land vorbei. Insbesondere mit Hinblick auf die Reduktion des Individualverkehrs stellt sich die Frage: Wie führen wir konsequente Klimapolitik und Sozialverträglichkeit nicht nur für Großstädter, sondern vor allem für Menschen im ländlichen Raum zusammen?

Mein Ziel ist, dass Deutschland klimaneutrales Industrieland wird. Deshalb haben wir ehrgeizige Klimaziele gesetzt. Deutschland soll 2045 klimaneutral sein. Auf diesem Weg wollen wir niemanden zurücklassen. Wir denken Klimaschutz, Arbeitsplätze und soziale Sicherheit immer zusammen. Das gibt es im Übrigen nur mit der Union. Wir haben im Regierungsprogramm vorgeschlagen, dass wir die Einnahmen aus dem CO2-Preis über eine Reduzierung beim Strompreis zurückgeben, indem wir die EEG-Umlage abschaffen. Dadurch wird der Strom günstiger. Das kommt allen Bürgerinnen und Bürgern und auch den Betrieben zugute. Zugleich müssen wir Menschen, die beispielsweise im ländlichen Raum wohnen und weite Wege zur Arbeit pendeln, durch die Pendlerpauschalte entlasten.

BISS35: Eine Allensbach-Umfrage hat kürzlich erhoben, dass 44 % der Befragten der Überzeugung seien, man könne in Deutschland zu sensiblen Themen wie beispielsweise der Einwanderung nicht mehr frei seine Meinung äußern. Dazu passen die aktuellen Diskussionen um die sogenannte Cancel Culture. Wie bewerten Sie den Zustand unserer politischen Diskussionskultur?

Selbstverständlich kann jeder in Deutschland frei seine Meinung äußern. Selbst Querdenker mit den absurdesten Verschwörungstheorien dürfen ihre Meinung frei äußern, sofern die nicht antisemitische oder volksverhetzende Thesen verbreiten. Zugleich macht mir der raue Umgangston gerade in den sozialen Medien große Sorgen. Das ist eine Herausforderung nicht nur in diesem Wahlkampf. Deshalb ist auch mein Appell an alle unsere Mitbewerber, dass wir einen fairen und sachlichen Umgang pflegen. Wahlkampf darf hart in der Sache, aber der Stil muss von Fairness geprägt sein. Persönliche Angriffe sind jedenfalls nicht der Stil der Union.

BISS35: Nordrhein-Westfalen wird seit nunmehr gut vier Jahren erfolgreich von Ihnen regiert. Wo sind wir hier im Westen dem Bund voraus? Welche Erfahrungswerte nehmen Sie mit an die Spree?

Erstens: Wir haben in Nordrhein-Westfalen gezeigt, dass der Strukturwandel hin zum klimaneutralen Industrieland gelingen kann. Mit dem Projekt tkH2Steel der thyssenkrupp Steel Europe AG wird beispielsweise die klimaneutrale Stahlerzeugung in Nordrhein-Westfalen aufgebaut. Durch den breiten Einsatz von Wasserstoff wird die klimafreundliche Stahlherstellung der Zukunft am größten Stahlstandort in der Europäischen Union möglich.
Zweitens: Wir haben acht Entfesselungspakete für mehr Dynamik beschlossen. Wir haben beispielsweise 59 unnötige und belastende Regelungen für die Wirtschaft des Landes vereinfacht oder gestrichen, ohne bestehende Standards infrage zu stellen. Das brauchen wir für ganz Deutschland.
Und schließlich drittens: Mir war von Anfang an wichtig, dass die Landesregierung breit aufgestellt ist. Ich bin überzeugt: Als Mannschaft und starkes Team können wir am meisten für unser Land erreichen.

Die Fragen stellte Fabio Crynen.

Kontaktperson

Fabio Crynen

Chefredaktuer BISS35

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