Im Herbst finden in Polen Parlamentswahlen statt. Der Wahlkampf ist bereits jetzt in vollem Gang. Die Thematik des Krieges in der Ukraine wird hierbei zweifellos auch eine Rolle im Kampf um die Parlamentsmehrheit spielen. Als Nachbarland der Ukraine spürt Polen unmittelbar die Auswirkungen des Konflikts, die verschiedene Bereiche des politischen und gesellschaftlichen Lebens betreffen. Besonders relevant sind die Veränderungen der außen- und geopolitischen Rahmenbedingungen. Es ist spürbar, dass sich das politische Zentrum Europas ein Stückweit nach Osten verlagert und damit der Einfluss Polens zunehmen könnte. Spürbar sind vor allem aber auch die innenpolitischen Auswirkungen, die durch den Krieg hervorgerufen werden.

Hierzu zählt in erster Linie ein riesiger Flüchtlingsstrom: Seit Februar 2022 haben fast 10 Millionen Menschen die Ukraine in Richtung Polen verlassen. Polen und seine grenznahen Städte wurden zum Drehkreuz, was in vielen polnischen Städten zu einem starken Anstieg der Einwohnerzahl führte. Die Aufnahme dieser Schutzsuchenden erfolgte hierbei größtenteils durch die polnische Zivilgesellschaft, die in einem beispiellosen Akt von Solidarität Versorgung und Unterkunft bereitstellte. Damit hat Polen so viel humanitäre Hilfe wie kein anderes europäisches Land geleistet – anders als während der Flüchtlingskrisen 2015 und 2021/22.

Die von der PiS angeführte Regierung verabschiedete wenige Wochen nach Kriegsausbruch ein Sondergesetz, das den Ukrainern einen vereinfachten Zugang zu den Sozialsystemen und dem Arbeitsmarkt ermöglichte. Fast eine Million ukrainische Erwerbstätige wurden in den polnischen Arbeitsmarkt integriert. Ebenso wird ihnen ein voller Zugang zum Gesundheits- und Schulsystem gewährt. Neben diesen Flüchtlingen lebten bereits vor der russischen Invasion eine Million ukrainische Staatsbürger in Polen, die aus Erwerbsgründen immigriert waren. Polen steht somit vor der großen Herausforderung, diese Flüchtlinge in die polnische Gesellschaft zu integrieren. Auch stellt sich die Frage, ob es für viele Ukrainer attraktiver sein könnte, in Polen zu bleiben, anstatt in die vom Krieg zerstörte Ukraine zurückzukehren. Es könnte zu einem Brain-Drain und einer Konkurrenzsituation zwischen beiden Volkswirtschaften um Arbeitskräfte kommen.

Obwohl die Flüchtlinge keine Verantwortung für die aktuellen ökonomischen Herausforderungen Polens tragen, gibt es in der Gesellschaft Sorgen bezüglich möglicher negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, die Wirtschaft und den Staatshaushalt. Jüngstes Beispiel waren Streitigkeiten um den Import von ukrainischem Getreide, der zu einem Preisverfall in Polen führte, dem vor allem die polnische Landwirtschaft zum Opfer fiel.

Anders als in Deutschland, wo die Flüchtlingskrise 2015 der AfD den Einzug in den Bundestag sicherte, wird das Thema für den polnischen Wahlkampf nur eine untergeordnete Rolle spielen. Grundsätzlich überwiegt die positive Haltung der Polen gegenüber den Ukrainern. Nur vereinzelt gibt es Stimmen, die nach einer stärkeren Unterstützung der eigenen Bevölkerung rufen. Und während Polen politisch sonst ein zutiefst zerstrittenes Land ist, wird das Flüchtlingsthema für den Wahlkampf nur eine untergeordnete Rolle spielen. Zu groß ist die Solidarität mit der Ukraine, zu groß die Sorge vor dem russischen Imperialismus, dem Polen in seiner Vergangenheit wiederholt zum Opfer gefallen ist. Aus diesem Grund nimmt auch Warschau bedeutsame Nachjustierungen seiner militärischen Kapazitäten vor und geht davon aus, dass die Auseinandersetzung mit Russland die kommende Dekade in Mittel- und Osteuropa sicherheitspolitisch prägen wird.

Verfasser:
David Gregosz leitet das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Polen mit Sitz in Warschau.

Kontaktperson

Sara Carina Richau

Pressereferentin

Vorheriger Beitrag Nächster Beitrag

Jetzt teilen: