Die Westenergie ist Deutschlands größter regionaler Energiedienstleister und Infrastrukturanbieter. Als größtes Tochterunternehmen des Energiekonzerns E.ON wurde sie am 1. Oktober 2020 im Rahmen der Zerschlagung von Innogy gegründet. Mit einem rund 37.000 Kilometer langen Erdgasnetz und einem Stromnetz, welches mit seinen etwa 196.000 Kilometern beinahe 5-mal um die Welt reicht, ist die Westenergie verantwortlich für die Energieversorgung von Millionen von Haushalten und Unternehmen in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen.

Die Westenergie beschäftigt dafür etwa 10.000 Mitarbeiter und unterhält über 1.400 kommunale Partnerschaften. Zudem ist sie an mehr als 130 Stadtwerken, Netzgesellschaften und Versorgungsunternehmen beteiligt. Dadurch leistet sie einen relevanten Beitrag zur Sicherung der Energieversorgung und zur Förderung eines klimaneutralen Westens. Wie Katherina Reiche selbst betont: „Wir legen nicht weniger als die Grundlage für das Funktionieren von Wirtschaft und Gesellschaft. Unsere Verteilnetzbetreiber sorgen dafür, dass Produktionsmaschinen laufen und Bürger wie Unternehmen mit Energie versorgt werden.“

Solaranlagen und Windräder geben Dunkelflauten und Sonnentagen eine ganz neue Bedeutung. Wallboxen und Wärmepumpen erhöhen wiederum den Stromverbrauch eines jeden Haushalts. Sind unsere Stromnetze denn ausreichend für diese Lasten gerüstet?

Natürlich unterstützt die Energiebranche die Initiative der Bundesregierung zum massiven Ausbau der erneuerbaren Energien. Aber zur Wahrheit gehört auch: Vor allem für die Verteilnetze ist dieser Ausbau der ultimative Stresstest – und wenn sie diesen Test bestehen sollen, müssen sie dringend ausgebaut und modernisiert werden. Laut Deutscher Energieagentur kostet der Netzausbau mindestens 80 Milliarden Euro. Derzeit zahlt die Branche bei Investitionen aber drauf – und das muss sich dringend ändern. Der Netzausbau muss in einem industriellen Maßstab erfolgen. Wir müssen Netze gewissermaßen wie am Fließband ausbauen, verstärken und neu bauen.

Was machen wir zukünftig mit unseren Gasleitungen? Braucht es die gar nicht mehr oder können wir auch da mit Technologieoffenheit eine ökologische Nutzung finden?

Das deutsche Erdgasnetz ist ein Schatz, um den uns viele andere Länder beneiden. Es ist der größte Speicher für Energie, den wir in Deutschland haben, man kann 6.000-mal mehr Energie in Gasrohren speichern als im Stromnetz. Diese Gasinfrastruktur existiert seit fast 200 Jahren, sie hat seitdem schon viele unterschiedliche Gasgemische transportiert. Noch bis vor etwa 40 Jahren war Stadtgas weit verbreitet, das zur Hälfte aus Wasserstoff bestand. Dieses Erdgasnetz müssen wir jetzt „H2 ready“ machen, also auf Wasserstoff umstellen. Das ist nicht nur finanziell günstiger als der Bau neuer Fern- und Verteilnetze. Es ist auch technisch machbar, denn die Erdgasleitungen sind für den Transport von Wasserstoff geeignet. Das zeigen auch erste Pilotprojekte in unserem Unternehmen, zum Beispiel „H2HoWi“ in Holzwickede. Dort fließt erstmals in Deutschland 100 Prozent Wasserstoff durch eine Erdgasleitung der öffentlichen Versorgung.

Wieso ist Wasserstoff als Energieträger unumgänglich?

Spätestens seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ist klar: Unsere Energieversorgung muss wieder sicher, sauber und bezahlbar werden. Alleine mit grünem Strom wird das aber nicht gehen. Deshalb braucht Deutschland Wasserstoff, sehr schnell und sehr viel – als Speichermedium, für industrielle Anwendungen, für den Verkehrssektor und für den Wärmemarkt. Nur mit Wasserstoff können wir gewährleisten, dass Wertschöpfungsketten bestehen und Schlüsselindustrien in Deutschland bleiben. Die Industrie und der industrielle Mittelstand brauchen Prozesswärme, also viel und beständig Hochtemperatur zwischen 700 und 1200 Grad. Sie ist damit auf gasförmige Energieträger angewiesen. Etwa 1,8 Millionen Unternehmen sind an das Gasverteilnetz angeschlossen. Dabei geht es nicht nur um Stahl- und Chemieunternehmen, sondern auch um Papierfabriken, die Glas-, Baustoff- und Nahrungsmittelindustrie.

Was darf der deutschen Wasserstoffpolitik der nächsten Jahre deshalb auf keinen Fall fehlen?

Wasserstoff ist ein perfektes Beispiel für die Macht der Skaleneffekte: Die Kosten für ein Gut sinken, wenn es in industriellem Maßstab hergestellt wird. Deshalb war der Schritt zur Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie auch so wichtig. Dennoch geht sie nicht weit genug. Nach Prognosen des Nationalen Wasserstoffrates der Bundesregierung steigt der Bedarf an Wasserstoff und seinen Derivaten bis 2045 auf bis zu 41 Millionen Tonnen. Diese Mengen wird Deutschland nicht selbst produzieren können. Bis 2045 werden wir daher bis zu 80 Prozent des Wasserstoffs importieren, bei Derivaten sogar noch mehr. Das wird uns nur gelingen, wenn wir drei Dinge miteinander verzahnen: die heimische Produktion hochfahren, die entsprechende Infrastruktur aufbauen und langfristige Importpartnerschaften schließen.

Zurück von der großen Politik zu einem jeden Einzelnen von uns. Was können Sie, was kann ich, was können unsere Leser tun, um im Kleinen zur Energiesicherheit unseres Landes beizutragen?

Energiesparen bleibt wichtig, wir dürfen nicht nachlassen – für eine sichere Versorgung und für das Klima. Im vergangenen Winter haben die Einsparungen dazu beigetragen, dass eine Eskalation der Versorgungslage vermieden werden konnte.

Letzte Frage: Angenommen Klimaminister Robert Habeck liest dieses Interview, welche drei Botschaften möchten Sie ihm dringend zurufen?

Erstens: Der Zubau der erneuerbaren Energien muss schneller vorangehen. Dazu gehört auch der synchrone Ausbau der Energieinfrastruktur – neue Leitungen, Trafos und Umspannwerke. Nur dann erreicht Deutschland bis zum Jahr 2045 das Ziel der Klimaneutralität. Zweitens: Eine leistungsstarke Infrastruktur braucht die richtigen Rahmenbedingungen. Dazu gehört eine radikale und grundsätzliche Vereinfachung und Beschleunigung aller Prozesse – bei Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie bei den Finanzierungsbedingungen. Und drittens: Die Energiewende braucht gesellschaftliche Akzeptanz. Sowohl die Bürgerinnen und Bürger als auch kleine und große Unternehmen müssen erkennen: Die Energiewende ist eine Jahrhundertaufgabe, doch sie bietet auch Chancen – für unseren Alltag, für unsere wirtschaftliche Situation und für die nächsten Generationen. Umso wichtiger ist eine klare Kommunikation seitens der Politik – und Offenheit im Diskussionsprozess.

Das Interview führte Maximilian Reinberger.

Kontaktperson

Sara Carina Richau

Pressereferentin

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